Den Mitgliedern der schreibenden Zunft sollte der Name ein Begriff sein. Falls nicht, will ich eurem Gedächtnis etwas auf die Sprünge helfen, denn Wolf Schneider hat es verdient, dass man
sich an ihn erinnert. Und wir alle können, auch posthum, noch viel von ihm lernen.
1024 Wörter - Lesedauer etwa vier Minuten
Wolf Schneider hatte viele Berufe und Berufungen: Journalist, Publizist, Kolumnist, Dozent, Sprachexperte, Verlagsleiter, Chefredakteur, Talkshow-Moderator,
Vlog-Betreiber …
Um es kurz zu machen: Er war vor allem ein unbequemer, weil unermüdlicher Sprachkritiker.
Bekannt wurde er für seine Nörgeleien an der Rechtschreibreform: „Beschäftigungstherapie für unterbeschäftigte Germanisten“.
Sehr ablehnend stand er auch dem Gendern gegenüber und brachte das auch ungefragt zum Ausdruck: „Wichtigtuerei von Leuten, die von Sprache keine Ahnung haben“.
Egal, wie man zu seinen Ansichten steht. Das Motiv seines Handelns verdient Anerkennung:
Die Liebe zur deutschen Sprache und die Qualität im Journalismus.
Man könnte meinen, Wolf Schneider sei in seinem Denken ein Erzkonservativer gewesen. Schließlich wirkte er viele Jahre im Axel-Springer-Konzern und musste sogar noch
Erfahrungen sammeln als deutscher Soldat im letzten Weltkrieg.
Zu einfach wäre es, würden wir ihn deshalb einordnen als geistiges Fossil einer vergangenen Epoche.
Natürlich muss es Spuren im Weltbild hinterlassen, wenn man als Angehöriger der Kriegsgeneration eine Ausbildung in der Welt der Printmedien macht, nachdem sich gerade erst eine faschistische
Diktatur verabschiedet hatte.
Natürlich prägt es das Denken, wenn ein junger Mensch mit anpacken kann, um ein neues, demokratisches Deutschland aus den Trümmern des totalen Krieges aufzubauen und seinen Anteil leistete an der
Wiederbelebung der Pressefreiheit.
Wolf Schneider war ein Mensch, der sich zeitlebens weiterentwickelte. Es gab nur eine Konstante in seinem Denken und Wirken: Er war ein Verfechter der präzisen Sprache.
Er sah sich nicht nur dem Journalismus verpflichtet, sondern vor allem den Lesern (zu Ehren von Wolf Schneider habe ich an dieser Stelle auf das Gendern
verzichtet - das hätte ihm gefallen).
Seiner Ansicht nach verdient es die Leserschaft, von den Redaktionen mit einer leicht verständlichen Sprache beliefert zu werden. „Guter Text muss den Autoren Qualen bereiten, nicht dem
Leser“ - das war sein Motto.
Er verachtete sprachliche Schlampereien, Floskeln, ungenaue Sprachbilder und er war kein Freund des Passivs. Aber auch seine Abneigung gegenüber Anglizismen stellt ihn noch nicht in die
patriotisch-erzkonservative Ecke.
Er kam ein wenig Old School rüber, weil er mit seinen Worten und Schriften sehr streng und konsequent war.
Wie sonst hätte er seine Mission erfüllen können gegen die Auswüchse im neu aufgekommenen Boulevardjournalismus, zu dem sich später dann noch die Digitalisierung der Medien gesellte?
Nicht immer, das lässt sich wohl kaum bestreiten, hat der Fortschritt in den erwähnten Bereichen einen wertvollen Beitrag zu gutem Journalismus geleistet.
Wolf Schneider jedoch hat diese Entwicklung stets umgetrieben. Er hat versucht, gegen die dunkle Seite der Sprachentwicklung in Medien und Gesellschaft anzukämpfen.
War er deshalb ein Konservativer im negativen Sinne?
War er nicht. Er trauerte nicht den vermeintlich goldenen Zeiten der jungen Bundesrepublik nach, in der es nur Printmedien und Rundfunk gab und in der alternative Fakten und Fake-News gerade erst
zusammen mit dem Dritten Reich untergegangen waren.
Statt dieser Ära nachzutrauern, nahm er klaglos die Herausforderungen unserer Zeit an.
Er lebte und dachte stets in der Gegenwart. Er wollte, dass bei aller Weiterentwicklung die Qualität der Sprache nicht leidet und die Menschen die Lust am Lesen nicht verlieren. Meiner Ansicht
nach eine sehr moderne Haltung.
Wolf Schneider hat bis in die Gegenwart über Probleme nachgedacht und geschrieben. Der drohende Wertverlust der Informationen im Digitalen Zeitalter war sein Thema.
Es war Wolf Schneider, der die bis dahin im Journalismus für einen Elevator Pitch üblichen 20 Sekunden oder 350-Zeichen für überholt erklärte, zumindest wenn es um Texte für
Online-Medien ging:
Er empfahl stattdessen, für Teaser in maximal 10 Sekunden Lesezeit oder höchstens 160 Zeichen das Interesse der Leserschaft erobert zu haben. Inspiriert zu dieser Erkenntnis haben ihn die 150
Zeichen bei Twitter.
Auch mit seinem letzten großen Werk „Denkt endlich an die Enkel - ein ökologisches Manifest“ von 2019 bewies Wolf Schneider einmal mehr, dass er nicht die Augen verschloss vor den
Herausforderungen unserer Zeit.
In seiner Zeit als Dozent an der Henri-Nannen-Journalistenschule hat Wolf Schneider zahlreichen Berufsanfängern auf die Sprünge geholfen.
Aber auch als Quereinsteiger konnten und können wir von seinem Wissen profitieren: Er hat uns viele hilfreiche Schriften hinterlassen.
Sein Lehrbuch „Deutsch für Profis“ hat mich überzeugt. Hier teilt Wolf Schneider sein Wissen mit uns in klarer, präziser Sprache und demonstriert dabei
gleich, was er uns vermitteln wollte.
Auf jeder Seite bleibt er seinem Credo treu: Die Leserschaft darf nicht mit langweiligem Geschwätz ermüdet werden; stattdessen ist die Aufmerksamkeit durch einen unterhaltsamen, teils
überraschenden Schreibstil auf einem hohen Niveau zu halten. (Dieser Satz wäre Wolf Schneider vermutlich schon zu lang gewesen - zu viele Adjektive und sogar
ein Passiv!!!).
Wer Wolf Schneider liest, erfreut sich an der hohen Informationsdichte bei leichter Lesbarkeit seiner Texte.
Das wiederum macht seine Lehre brandaktuell, denn man könnte meinen, dass Google die Algorithmen für seinen WebCrawler auf Grundlage von Wolf Schneiders Werken entwickelte.
Wir erinnern uns: Die Lesefreundlichkeit von Texten ist maßgeblich für das Ranking von Suchergebnissen.
Und selbst die Künstliche Intelligenz wird von Wolf Schneider noch posthum beeinflusst: Eine Journalistenschule hat in ihrer Webakademie eine Wolf-Schneider-KI (WSKI) entwickelt. Diese hat vom
großen Meisters gelernt und soll nun beim Schreiben und Redigieren von Texten unterstützen.
Fazit: Wir sollten uns beim Produzieren von Content auf das Lebenswerk von Wolf Schneider besinnen. Dem Ergebnis unserer Arbeit wird es nicht schaden. Das führt uns abschließend
dann zu seinem wohl berühmtesten Zitat: „Qualität kommt von Qual“.
Wolf Schneider verstarb am 11. November 2022 im Alter von 97 Jahren.
© Otis Hansen by textdesigner.online 2022
Impressum ++ Datenschutz ++ AGB